Der Mauerläufer ist ein besonderes Juwel der einheimischen Vogelwelt. Da sein schwer zugänglicher Lebensraum in alpinem und hochalpinem Gebiet liegt, bekommen ihn Bergsteiger eher zu Gesicht als „gewöhnliche“ Vogelkundler. Er steht ganz oben auf der Wunschliste vieler Beobachter. Wer den Kletterkünstler mit dem prächtigen Gefieder in der Brutzeit sehen möchte, muss eine Bergtour machen und selbst dann gehört eine grosse Portion Glück dazu.
Die meisten Brutplätze der Mauerläufer befinden sich an Felswänden in 1500 bis 2000 m Höhe. Der höchste Brutplatz in der Schweiz wurde allerdings am Gornergrat ob Zermatt (Wallis) auf 3090 m Höhe entdeckt!
Der Felsbewohner ist ungefähr so gross und schwer wie eine Kohlmeise. Ober- und Unterseite sind unscheinbar grau gefärbt und tarnen ihn auf felsigem Untergrund optimal. Öffnet er seine Flügel, entfaltet er seine ganze Schönheit. Auf den abgerundeten, schwärzlichen Flügeln wird die wunderschöne karminrote Färbung sichtbar, ebenso die leuchtend weissen Flecken auf den vier äussersten Handschwingen.
Das Männchen hat im Prachtkleid eine schwarze Kehle, beim Weibchen ist dieser dunkle Kehlfleck viel weniger ausgeprägt. Besonders auffällig ist der feine, lange, leicht abwärts gebogene Schnabel, der es dem Mauerläufer ermöglicht, seine Nahrung auch aus tiefen Felsritzen, -höhlen, und -spalten herauszuholen.
Männchen
Weibchen
Ein besonderes Merkmal sind die relativ langen, stark gekrümmten Krallen, die eine Anpassung an den Lebensraum sind und ihm auf dem felsigen Untergrund Halt geben. Mit dieser besonderen Ausstattung erklettert der Mauerläufer mühelos steilste Felswände, sogar Überhänge meistert er ohne Probleme. Eigentlich klettert er hüpfend unter ständiger Mithilfe der Flügel. Diese werden alle paar Sekunden ruckartig seitwärts halb geöffnet. Sein charakteristisches Flügelzucken macht die dunkelrote Färbung und die weissen Flecken sichtbar, eine wahre Augenweide. Dieses Verhalten dient natürlich auch der Kommunikation unter Artgenossen.
Im Flug erinnert der Vogel an einen Schmetterling. Wer ihn einmal fliegend gesehen hat, wird dieses Erlebnis nicht so schnell vergessen. Seine breiten Flügel ermöglichen dem Mauerläufer spezielle Flugmanöver: Er kann sich mit angelegten Flügeln den Felsklippen entlang in die Tiefe stürzen, um erst im allerletzten Moment mit breit gefächertem Schwanz und maximal entfalteten Flügeln voll abzubremsen.
Abgesehen vom erwähnten Flügelzucken dient natürlich auch der Gesang zur gegenseitigen Verständigung. Männchen und Weibchen tragen den besonderen Gesang vor, er ist eine kurze Folge von langgezogenen Pfeiftönen unterschiedlicher Tonhöhe. Ertönt er von der Felswand einer Schlucht, erzeugt dies eine besondere Resonanz.
Das Vorkommen des Mauerläufers erstreckt sich über das Hochgebirge Westeuropas, des Balkans, des Kaukasus bis zu Gebirgsregionen Ost- und Zentralasiens. In Deutschland ist das Brutvorkommen auf die bayerischen Alpen beschränkt.
Der Mauerläufer brütet in einer Nische, Spalte oder Höhle an senkrechten Felswänden, in Schluchten und manchmal auch in Steinbrüchen. So sind die Jungvögel gut geschützt vor Bodenfeinden wie Wiesel oder Steinmarder. Der Nestbau beginnt frühestens Anfang Mai. Das Weibchen baut das Nest und verwendet Moos, Würzelchen, dürre Halme und Flechten, Haare und Federn werden mit eingewoben. Moos bildet den Hauptbestandteil des Nests und erinnert deshalb an das Nest einer Meise. Für diese Arbeit in luftiger Höhe benötigt das Weibchen rund eine Woche.
Es findet nur eine Jahresbrut statt. Das Weibchen legt Mitte Mai oder im Juni drei bis fünf Eier und bebrütet diese während rund 19 Tagen.
In der Umgebung des Neststandortes befinden sich oft kleine Wasserstellen, Grasbänder oder Polster, die möglicherweise das Futterangebot erhöhen. Auf dem Speiseplan stehen Insekten, Spinnen und Asseln. Schmetterlinge werden manchmal im Flug erbeutet. Beide Partner füttern die Jungvögel im Nest, was rund einen Monat in Anspruch nimmt.
Ein junger Mauerläufer macht die ersten Klettererfahrungen.
Besteht die Chance, Mauerläufer ohne Seil und Haken zu beobachten? Ja, der Winter macht es am ehesten möglich. Der Felsbewohner weicht in dieser Jahreszeit in tiefere Regionen aus mit günstigerem Nahrungsangebot. Dann sucht er zum Beispiel Schlösser, Ruinen, Brücken, Kirchen oder andere hohe Gebäude auf. Ist der Vogel hier einmal entdeckt, spricht sich das schnell herum.
So geschehen in Holland: Anfang der 90er-Jahre und im Jahr 2010 gelang je eine Sichtung des Mauerläufers an einem hohen Gebäude in Amsterdam und in einem Steinbruch in der Nähe von Maastricht. Das Aufsehen war gross, es wurde in den Medien darüber berichtet und im Nu zierte das Bild des Mauerläufers T-Shirts und Kaffeetassen. Dazu muss man natürlich sagen, dass diese Sichtungen besonders aussergewöhnlich waren, da es in Holland keine Berge gibt!
In der Schweiz leben gemäss neustem Brutvogelatlas etwa 1000 bis 2500 Paare. Die grösste Gefahr droht dem Mauerläufer durch die Störung von Menschen. Vermehrte Freizeitaktivitäten wie Sportklettern können zur Aufgabe von Brutplätzen führen. Generell ist der Mauerläufer Kletterern gegenüber tolerant. Freestyle-Kletterer sollten aber seinen Lebensraum respektieren und keine Felswände ausputzen. Ein Miteinander ist auch hier möglich, wenn der Mensch der Natur den nötigen Respekt entgegenbringt und nicht übermässiger Ehrgeiz an erster Stelle steht.
Die ausführliche Dokumentation zum heutigen Vogel des Monats für den Unterricht können Sie hier kostenlos herunterladen: Mauerläufer
Ich danke Edith und Beni Herzog herzlich für die interessanten Informationen und die wunderbaren Fotos. Auf ihrer Webseite benifotos.ch sind die Bilder grösser und noch prächtiger zu sehen.
Zielgruppe: 3. - 6. Klasse
Bezug Lehrplan 21: NMG 2.1 NMG 2.3 NMG 2.4 NMG.2.6