Die häufigste Wildgans in Europa ist die Graugans, die heute auf dem Land wie in der Stadt zu Hause ist, zum Teil auch im Winter. Anfang der 70er-Jahre war dieser Vogel in Europa fast ausgestorben.
Der Mensch züchtete aus der Graugans die Hausgans. Sie ist seit langem als Haustier beliebt, da ihr Fleisch als sehr schmackhaft gilt, ihre Eier doppelt so gross wie Hühnereier sind und man mit ihren Daunen Kissen und Decken stopfen kann. Früher dienten die Federn sogar als Schreibzeug. Ausserdem ist die Gans geeignet als „Wachhund“, da sie sofort Alarm schlägt, wenn sich jemand dem Grundstück nähert.
Die Graugans ist gross und massig, ihr Hals relativ dick. Durch die Anordnung der Federn am Hals sieht dieser fast längsgestreift aus. Das Gefieder ist graubraun, auf dem Bauch hat sie schwarze Flecken. Der Schnabel ist orange bis rosa, die Beine sind rosafarben. Männchen und Weibchen sehen gleich aus, unterscheiden sich aber im Gewicht. Der Ganter – das ist die Bezeichnung für das Männchen – ist schwerer und bringt bis 4 kg auf die Waage.
Der bekannte Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat die Verhaltensweisen der Graugänse intensiv studiert und genau beschrieben. Graugänse sind sehr soziale Vögel, die in Gruppen leben und sich so die besten Lebenschancen sichern. Nur während der Paarungs- und Brutzeit gehen sie eigene Wege. Graugänse sind sehr intelligente Tiere, das sollte man sich bewusst sein, wenn man jemanden eine „dumme Gans“ schimpft!
Im Alter von drei bis vier Jahren suchen sich Graugänse Partner und bleiben oft ein Leben lang zusammen. Die „Langzeitehe“ bringt Vorteile mit sich. Über die Jahre hinweg sind die Paare ein eingespieltes Team. Im Winterquartier kennt man die besten Nahrungsgründe und das Brutgeschäft kann nach der Rückkehr im Frühling ohne Verzögerung beginnen, dies wirkt sich günstig auf die Zahl und wohl auch auf die Kondition der Jungen aus.
Heute schätzt man den Bestand in Europa auf rund 600'000 erwachsene Tiere. Graugänse gehören zu den Entenvögeln und brüten in Nord- und Osteuropa, aber auch in Asien. Island, Deutschland, Norwegen und Schweden beherbergen zusammen drei Viertel des europäischen Brutbestandes. In der Schweiz brütet die Graugans erst seit 1983, mit rund 60 Paaren ist der Bestand verschwindend klein.
Als Brutplatz bevorzugt die Graugans Seen, Teiche oder andere Gewässer mit dichtem Schilfbestand und angrenzendem Wiesland oder Rasen für die Nahrungssuche. Sie ernährt sich vegetarisch und frisst vor allem Gräser, Klee und Löwenzahn. Die flache Nestmulde liegt gut versteckt im Uferbereich oder auf Inseln in Süssgewässern.
Im April/Mai legt das Weibchen vier bis acht Eier. Vor allem das Weibchen bebrütet die Eier und das Männchen bewacht die Nestumgebung. Sie kümmern sich gemeinsam um die geschlüpften Jungen, die auch Gössel genannt werden.
Die Gänseküken sind Nestflüchter, tragen nach dem Schlüpfen bereits ein feines Daunengefieder, können sehen und auch schon schwimmen. Allerdings führen die Eltern sie erst nach einigen Stunden im Nest ins Wasser, da dort viele Gefahren lauern.
Die Jungvögel sind anfangs olivbraun, später bekommen sie einen graubraunen Farbton. Kopf, Hals und Körperseiten sind grünlich gelb. Bis zur Selbständigkeit vergehen etwa sieben bis acht Wochen.
Kommt man einem Gänsepaar, das Junge führt, zu nahe, beginnt die Gans zu zischen. Das ist eine Warnung und heisst übersetzt: bis dahin und nicht weiter!
Die Junggänse bleiben bis zur nächsten Brut der Eltern im Folgejahr mit ihren Eltern zusammen und sind auch später oft bei diesen anzutreffen. Graugänse erkennen sich am Ruf. Bereits im Ei prägen sich die Jungen die Stimme ihrer Eltern ein. Im Herbst fressen Graugänse gerne Körner und halten sich deshalb bevorzugt auf Maisstoppelfeldern auf.
Wildgänse waren bis vor wenigen Jahrzehnten Zugvögel, die im Jahr Tausende von Kilometern zurücklegen. Graugänse können bis 1000 km pro Tag fliegen, mit Jungvögeln im Schlepptau legen sie allerdings keine so grossen Strecken im Tag zurück. Um Kräfte zu sparen, fliegen die Gruppen in V-Formation, wobei sich die Vögel an der Spitze abwechseln, sodass jede einmal in den Genuss des Windschattens kommt. Früher zogen Graugänse nach Afrika und überwinterten in Tunesien oder in West-Algerien. Den Beginn des Zuges bestimmen die Temperatur und die Länge des Tages. Der Klimawandel hat das Flugverhalten aber verändert, heute bleiben mitteleuropäische Gänse länger im Brutgebiet und manche überwintern sogar. Graugänse können im besten Fall ein Alter von 17 Jahren erreichen.
Mit erstaunlicher Anpassungsfähigkeit sind auch andere Wildgansarten in Mitteleuropa eingewandert.
Eine Verwandte der Graugans ist die Kanadagans, die in Grossbritannien vor über 300 Jahren als Ziervogel aus Nordamerika als „Parkgans“ eingeführt wurde.
Der jüngste Zuzug kommt aus Afrika: die Nilgans. Sie bevölkert Stadtgebiete wie auch landwirtschaftliche Nutzflächen, nicht immer zur Freude der Landwirte. Im Stadtpark von Hamburg und Umgebung leben all diese Gänse oft in Gemeinschaft. Dort werden die Graugänse von einem Gänsewart mit Unterstützung von weiteren Helfern gezählt und systematisch beringt, mit dem Ziel, möglichst viele Daten und Fakten zu erfahren wie: Schlüpfdatum, Schlüpfort, Anzahl Jungvögel, zieht der Vogel oder bleibt er hier, Anpassungsfähigkeit der Art und vieles mehr.
Die ausführliche Dokumentation zum heutigen Vogel des Monats für den Unterricht können Sie hier kostenlos herunterladen: Graugans.
Ich danke Edith und Beni Herzog herzlich für die interessanten Informationen und die wunderbaren Fotos. Auf ihrer Webseite benifotos.ch sind die Bilder grösser und noch prächtiger zu sehen.
Zielgruppe: 3. - 6. Klasse
Bezug Lehrplan 21: NMG 2.1 NMG 2.3 NMG 2.4 NMG.2.6